Und es wird der Tag kommen…
Eindrücke aus dem Turabdin
Sommer 2000 in Augsburg: Ich und ein Freund sind unterwegs, um für den I. Festival der Aramäer-Assyrer-Chaldäer-Suryoye in Holland zu werben und Leute dazu zu bewegen, an diesem Festival teilzunehmen. Es war eine anstrengende Angelegenheit, denn bis dahin kannten die Suryoye solche große Veranstaltungen kaum. Aus lauter Frust, sagte ich zu Ihm, was das bringen soll, die Menschen hätten sowieso kein Interesse?
Darauf hin sagte er „weist du Isoh, das was wir hier machen ist nur der erste Schritt, um unseren Volk für noch größere Festivals in unserer Heimat Bethnahrin vorzubereiten!“
Ich sah in ein wenig verdutzt an und antwortete nur „davon können wir träumen“! Er aber meinte es aus tiefster Überzeugung und sagte „glaub mir, und es wird der Tag kommen, dann werden wir diese Feste frei und ohne Angst in Midyat feiern können. Ich sehe es schon vor mir, wie wir uns in den Strassen Midyat`s frei bewegen können und zusammen zum Festival gehen werden.“ Fünf Jahre später sollte es wahr werden.
Als bekannt wurde, dass Ha Nison 2005 heuer tatsächlich im Turabdin gefeiert wird, kamen mir natürlich diese Sätze von damals in den Sinn und ich wollte mir dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Abgesehen davon hatte ich den Turabdin seit 27 Jahren nicht mehr gesehen.
Mit ein paar Freunden machten wir uns am 29. März 2005 mit dem Flugzeug auf dem Weg nach Istanbul und danach nach Diyarbakir, wo wir mit dem Minibus abgeholt wurden. Schon im Flieger fühlten wir uns heimisch, denn es waren viele Suryoye aus der Diaspora auf dem Weg zum H Nison Fest.
Wir kamen um Mitternacht im „Kulturhaus der Suryoye“ in Midyat an. Ich musste erst einmal tief Luft holen, um es so richtig glauben zu können. In der Strasse, wo sich der Verein befindet, sieht man von weiten das Schild des Kulturzentrums. Das war ein unbeschreibliches Gefühl und ich dachte mir, all die Mühe, die sich die Suryoye Organisationen in der Diaspora gegeben haben, zahlt sich jetzt aus.
Noch in derselben Nacht fuhren wir nach Arkah (Harabale). Dort angekommen staunte ich nicht schlecht, das Schild des Dorfes zog meine gesamte Aufmerksamkeit. Es standen zwei Namen drauf einmal die türkische Bezeichnung „ Ückoy“ und dann im aramäischen (lateinisch) „ Arkah“.
Am nächsten Tag auf dem Weg nach Mor Malke, der mittlerweile restauriert worden ist, genossen wir den herrlichen Blick auf die IZLO-Gebirge (die Alpen des Turabdin). Danach fuhren wir nach Kafro-Tahtayto und da konnte ich die ganze Pracht und Schönheit meines Dorfes endlich erleben und fühlen, nach so ewig langer Zeit. In Kafro (oder soll ich Kafro –CITY sagen) ging ich gleich zum Haus meiner Eltern, von dem nur noch die Ruinen und Steine übrig blieben; danach stieg auf dem Dach unserer Dorfkirche Mor Yahkub/Mor Barsaumo und genoss die frische Luft und die weite Aussicht dieser Gegend. Es ist schon einzigartig, was die Kafroye da geleistet haben, aber vor allem die modernen Häuser, die sie gebaut haben. Im September 2005 sollen die ersten Familien zurückkehren.
Wir sind dann weitergefahren nach Anhel und auch hier sieht man, dass die Suryoye aus Anhel auch ein großes Bauprojekt in Angriff genommen haben. Sie bauen mittlerweile auch neue Häuser. Was mir persönlich wehgetan hat, ist dass man schon fast aus Kafro das Minarett der „ Camiye“ in Anhel sieht. Fast doppelt so groß wie der Turm von Mor Kuryakos. Ein paar Tage später hatten wir das Glück bei einem Schahro u.a. mit Habib Mousa, Babylonia und Daniel Afram in Mor Kuryakos dabei zu sein.
Midyat, Midyat, viel besungen, es ist eine sehr schöne und antike Stadt. Sicherlich hat sie nicht wenige Geschichten zu erzählen. Mittlerweile hat Sie eine große Einwohnerzahl und viel zu wenig Suryoye, die sich um die prächtigen Bauten und Kirche kümmern. Auf den Strassen von Midyat hörte man in diesen Tagen wieder die Suryoye Lachen, aramäisch sprechen und singen. Neben dem Kulturverein der Suryoye ist ein viel besuchtes modernes „ Internetcafe“ vorhanden, das auch unseren Landsleuten gehört. Als die Tanzgruppe aus dem Chabur/Syrien in Midyat ankam wurde in den Strassen getanzt und musiziert mit Dahul und Zurna. Es war wirklich etwas besonderes…...Midyat erinnerte sich an die alten Tage Ihrer großen Söhne und Töchter.
Am Freitag den 1. April 2005 fand dann das Fest von Ha Nison statt. Nun ich will hier nicht drauf eingehen, weil die meisten von euch LIVE vor dem TV dabei waren und viele Bilder gesehen haben. Aber eins sollte uns bewusst sein, die Live-Ausstrahlung aus dem Turabdin via Suroyo TV und das Fest selber waren ein historischer Tag für die Suryoye weltweit.
In den nächsten Tagen, die wir noch im Turabdin waren, wollten wir soviel wie möglich sehen. Man braucht da schon mindestens 2 Wochen, um sich in aller Ruhe alles anschauen zu können. In Iwardo fühlten wir uns auf „Mor Huschabo“ in die unvergessliche Zeit von Sayfo zurück. Erst jetzt war es vorstellbar, warum diese „Burg“ im Jahr 1915 mit vielen kämpferischen Suryoye gegen 12.000!! Türkische Soldaten und Kurden bestehen konnte.
Die „Braut des Tur Abdin“ Midin hat mich auch sehr beeindruckt mit Ihrer Landschaft, ihren weite Feldern und Plantagen. Man hätte fast meinen können, es ist eine Region Italiens. Midin lebt, weil noch viele Suryoye Familien dort leben und als wir Pfarrer Malke Tok trafen, erzählter er uns von seiner Entführung durch die Hisbollah und seiner wundersamen Rettung. Ihm habe Europa nicht gefallen, und deshalb wollte er lieber in der Heimat ausharren und die schlechte Situation in Kauf nehmen, sagte er. Und die Zeit hat Ihm Recht gegeben. Was mir überall aufgefallen ist, das die Suryoye im Turabdin große Hoffnung auf die Rückkehrer setzen.
Die Fahrt ging nach Bsorino (Sare) weiter. Auch hier sind wir sehr freundlich empfangen worden. Ich war im Hof der Kirche von Mor Dodo als ein sehr starkes Gewitter einsetzte und ich musste schauen, dass ich irgendwo unterkam. Als ich zufällig eine Türe aufmachte, standen ca. 30 Kinder des aramäischen Unterrichts von Ihren Stühlen auf, weil Sie dachten ich wäre Ihr Lehrer. Ich unterhielt mich mit Ihnen ein weinig über das Leben im Dorf, es war ein schönes Erlebnis.
Die Wege und Strassen im Turabdin sind im Großen und Ganzen gut ausgebaut und sind mit dem Auto ohne Probleme befahrbar bis auf ein paar Ausnahmen z. B. der Weg nach Arkah oder Sederi. Wir mussten auf dem Weg nach Sederi ganz schön schwitzen und bekamen es wirklich mit der Angst zu tun, weil die Strasse extrem unbefahrbar war und das ganze in die Tiefe ging. Umso mehr wurden wir vom Bürgermeister des Dorfes, der aus Europa zurückgekehrt ist, freundlich empfangen und bewirtet.
Die Soldaten der Türkischen Regierung sind noch in manchen Dörfern (Arkah, Midin…) stationiert und kontrollieren die ankommenden Besucher in einem sehr freundlichen Umgang. Auf unserer Reise kamen wir natürlich auch an vielen Dörfern der Suryoye vorbei, die jetzt rein muslimisch sind z.B. Harabiya und Kartmin.
Unsere letzte Reiseroute brachte uns nach Mor Gabriel. Schon die Eingangstore wirken auf den Besucher majestätisch. Mittlerweile ist ein neues Tor und eine neue kilometerlange Mauer gebaut worden, die mich von der Form her sehr stark an die Bauten vorchristlicher Zeit erinnert hat. Die mächtigen Mauern von Mor Gabriel repräsentieren Schutz, aber wohl auch die Angst der Vergangenheit. Dieser Ort ist etwas besonderes, jeder der es noch nicht gesehen hat, muss es einmal in seinem Leben tun. Die Größe und die Bauten innerhalb der Mauer sind einzigartig, Kulturdenkmäler schlechthin und vor allem sehr alt.
Unbezahlbar ist von ganz oben der ewig lange Blick in die schönen und unbeschreiblichen Ebenen. Dem Menschen läuft es kalt den Rücken runter….soviel Schönheit ….Ehrfurcht…..und Geborgenheit kann es nur hier geben. Mit dem Blick von Mor Gabriel aus, auf die Landschaft des Turabdin…...kommt man zu dem Entschluss, dass es sich lohnt für dieses Stück Erde alles zu geben…wenn es sein muss sogar sein Leben. Ich kann die Menschen jetzt gut verstehen, die Jahrzehnte lang ausgeharrt haben und trotz all den Schwierigkeiten in der Heimat geblieben sind.
Jeder von uns sollte die Möglichkeit früher oder später bekommen, den Turabdin zu besuchen um sich richtig Gedanken machen zu können, wie die Suryoye in der Heimat wieder Fuß fassen könnten. Dann erscheinen einem all die Nebensächlichkeit und Streitereien, die sich in den letzten Jahrzehnten innerhalb des Suryoyo Volkes zugetragen haben, als total unwichtig. Die Kraft und die Energie sollte im Turabdin und in die Heimatliebe investiert werden. Meiner Meinung nach ist das die Lösung einiger unserer Probleme in der Diaspora.
Zum Schluss gilt mein großer Dank all den Menschen, die den Turabdin nicht verlassen haben. Sie haben uns die Möglichkeit offen gelassen, Ihn wieder zu entdecken und zu lieben.
Isoh Aziz,
bethmardutho@yahoo.de
Zur Person:
Isoh Aziz ist Vorsitzender des Bethnahrin Informations- und Sozialbüro in Augsburg. Beruflich leitet er im Moment als Geschäftsführer ein 3000qm großes Warenhaus eines der größten Handelsunternehmens Deutschlands.