Hunger, Tod, oder die Wüste hat sie verschlungen

Sayfo Konferenz in Augsburg

 „Wir haben den Schmerz in unseren Herzen versteckt", sagt die alte Frau im Dokumentarfilm „Der ungehörte Schrei". Dieser Film wurde gezeigt beim Gedenken an den 24. April 1915, den 90. Jahrestag des Genozids an den christlichen Suryoye in der Türkei.

Unter dem Motto „Geschichte kann man nicht auslöschen" luden die Vereinigung der Syrisch-Orthodoxen Aramäer und das Bethnahrin-Informations- und Sozialbüro zu einer Konferenz über den Völkermord ins Gemeindezentrum der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Lechhausen.

Jahrzehntelang sei dieser Völkermord vor der Weltöffentlichkeit geheim gehalten und geleugnet worden, sagte Ibrahim Demir von der Vereinigung der Syrisch-Orthodoxen Aramäer. Er erinnerte an jenen „Alptraum", als, beginnend im April 1915, unter Führung des Osmanischen Reiches rund 1,5 Millionen Armenier, etwa 500 000 christliche Suryoye (Syrer beziehungsweise Assyrer) und Griechen ermordet wurden.

Demir: „Hunger, Tod und die Wüste haben sie verschlungen."

Dieser Völkermord harre der Aufarbeitung, machte Dr. Shabo Talay Orientalist, an der Uni Erlangen-Nürnberg, deutlich. Diese Menschen, die in den östlichen Provinzen des osmanischen Reiches lebten, seien gestorben, „weil sie keine Muslime waren". Der aramäische Begriff „Sayfo" bedeute „Schwert" und stehe für den Vernichtungskrieg des Islams gegen die Christen.


„Befehl von höchster Stelle"

Am Begriff „Firman", der für „Befehl" steht, machte Shabo Talay fest, dass diese Vernichtung der Christen auf einen Erlass des Sultans hin, einem „Befehl von höchster Stelle", erfolgt sei. Mit einem dritten Wort, nämlich „Quafla", das „Karawane" heißt, beschrieb der Orientalist eine der Formen der Verfolgung, vor allem in den Jahren des Ersten Weltkriegs.

Gleichsam in „Karawanen" seien Christen aus ihren Dörfern deportiert worden.

Die Dörfer seien verwüstet, die arbeitsfähigen Männer zu Zwangsarbeit in Steinbrüchen oder im Straßenbau verpflichtet worden. Talay: „Zurückgekommen ist keiner."

„Wir möchten niemanden anklagen", sagte Shabo Talay angesichts dieses Leides der christlichen Suryoye, „wir wollen nur, dass unser Schicksal bekannt wird". Adressiert an die offizielle Türkei und die Kurden, fragte der Orientalist: „Wo sind die Suryoye geblieben?"

„Nur auf der Basis der historischen Wahrheit kann eine Versöhnung stattfinden", betonte Ali Ertem vom Verein der Völkermordgegner aus Frankfurt, gerichtet an die Adresse der türkischen Regierung, die sich „bis heute weigert, den Völkermord anzuerkennen".

Hermann Weber, Fraktionsvorsitzender der CSU im Augsburger Rathaus, stellte klar: Seine Partei wolle darauf hinwirken, dass es für die Türkei „keine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union geben darf", solange hier nicht Grundsätze wie die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Menschenwürde gelten.

Georgios Tsoraklidis von der Griechischen Gemeinde in München erinnerte daran, dass neben den Armeniern und den Suryoye in den Jahren 1916 und 1924 rund 7500 Griechen aus Kleinasien Opfer des Völkermords geworden seien.

Sami Akcan, Vertreter der European Syriac Union, Brüssel, erklärte, warum es über 80 Jahre gedauert habe, bis dieser Völkermord ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangte. „Unsere Eltern und Großeltern wussten davon, konnten aber nicht darüber erzählen."

Berichte von Zeugen gesammelt

Die Menschen hätten sich „in der Diaspora", in Europa, Amerika oder Australien eine neue Existenz aufbauen müssen und hätten sich „von ihrer Geschichte abgekoppelt". Erst Mitte der achtziger Jahre habe man sich in Organisationen zusammengetan, um regelmäßig darüber zu diskutieren, zu demonstrieren oder Augenzeugenberichte zu sammeln.

Im Film sagt ein Großvater zu seiner Enkelin: „Du bist zwar erst acht Monate alt, aber ich muss dir das erzählen, damit es nie vergessen wird."

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