Chancengleichheit – eine unabgegoltene Forderung zur Schulreform
Der Weg zur Chancengleichheit in Deutschland ist weit und noch nicht vollendet. In Westdeutschland trat seit den frühen Nachkriegsjahren eine Bildungsexpansion ein, immer mehr junge Menschen besuchten länger die (Hoch-) Schule. Seit diesen Jahren strebten die Deutschen in zunehmendem Maße höhere Abschlüsse an.
Die von der Mitte der sechziger bis Ende der siebziger Jahre eingesetzte Politik war darauf gerichtet, „auf dem Wege der expansiven Bildungsbeteiligung zum Abbau von Ungleichheit beizutragen“. Die Ausdehnung von Bildungsangeboten und der Abbau von Barrieren sollten zu einer Bildungsnachfrage aus den bildungsfernen Schichten führen. Es entfiel beispielsweise die Aufnahmeprüfung für Realschulen am Beginn der Sekundarstufe I.
Das Ausmaß von Gleichheit und Ungleichheit im deutschen Bildungssystem Ende des letzten Jahrhunderts läßt sich zusammenfassend so beschreiben:
Es galt das „katholische Arbeitermädchen vom Lande“ die Fleischwerdung aller Ungleichheiten im Bildungssystem war.
In den sechziger Jahren noch, zu Beginn der Bildungsreform, waren Mädchen im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt; ein bedeutender Ertrag der Reformjahre ist, daß Mädchen es zu gleichen, wenn nicht zu höheren Abschlüssen bringen: Mädchen sind 1999 zu 36 % ohne Schulabschluß und mit Hauptschulabschluß 52% deutlich unterrepräsentiert. Bei dem mittleren Schulabschluß (52%) sowie mit Allgemeiner Hochschulreife (55%) bilden sie die Mehrheit. Dieser Erfolg hat sich in allen Schichten vollzogen, jedoch konnte dieser Erfolg in die berufliche Ausbildung nur zum Teil umgesetzt werden, denn Mädchen bleiben noch immer häufiger als Jungen ohne Berufsausbildung.
Ein wichtiger Ausgangspunkt der Schulreformbemühungen seit den sechziger Jahren bildet die ungleiche Chancenverteilung zwischen den Kindern aus verschiedenen sozialen Schichten. Auch Ende der achtziger Jahre ist diese Ungleichheit nicht unerheblich: 1989 besuchen von allen Arbeiterkinder im Alter von 13 – 14 Jahren 58% eine Hauptschule, 26 % die Realschule und nur 11% das Gymnasium. Im Kontrast dazu stehen die Beamtenkinder; diese besuchten zu 13% die Hauptschule, die Realschule zu 24% und das Gymnasium 58%.
Eine fast noch wichtigere Gruppe Kinder, die im Schulsystem benachteiligt wird, ist die der Arbeitsmigranten. Die 1,16 Millionen ausländischen Kinder machen 1999 rund 9 % aller Schüler in Deutschland aus. Auffällig ist, daß diese in Haupt und Sonderschulen die Mehrheit und in Realschulen und Gymnasien die Minderheit darstellen. Dieses Ausmaß drückt sich den erreichten Schulabschlüssen aus. Ganze 17% erreichten keinen Schulabschluß.
Für die neunziger Jahre läßt sich vergleichweiße sagen, daß der Zulauf zu den allgemeinbildenden Schulen seit 1945 ein bemerkenswertes Niveau erreicht hat. Durch die Öffnungspolitik wurde in Deutschland erreicht, daß eine abgeschlossene Schulausbildung mit einer Berufsausbildung in Betrieben, Schulen und Hochschulen zum Standart für junge Erwachsene werden kann. „Ein Abweichen von dieser Norm, wie es sich in den neunziger Jahren in Folge des Mangels an Ausbildungsplätzen im Rahmen der dualen Berufsausbildung abzeichnet, wird am Ende des 20.Jahrhunderts als Versagen der Gesellschaft wahrgenommen.“ In Bezug auf die Bildungschancen stellen Geschlecht, Ethnie und soziale Herkunft entscheidende Faktoren dar.
„Länder wie Neuseeland, Kanada oder Schweden mit Gesamtschulsystem zeigen, daß mehr Selbständigkeit von Einzelschulen und Chancengleichheit sich nicht wiedersprechen müssen. In diesen Ländern gibt es sowohl mehr Selbständigkeit als auch mehr Chancengleichheit als bei uns. Voraussetzung dafür sind offenbar ein gemeinsames Kerncurriculum und eine Festlegung verbindlicher Lernstandards für alle Schulen, deren Einhaltung streng von innen wie von außen kontrolliert wird.
Mecde Cosar,
challmamaschda@t-online.de
Quelle:
Klaus Klemm/Hans-Günter Rolff Chancengleichheit – eine unabgegoltene Forderung zur Schulreform
In: Kampfshoff, H.i Lumen, B (Hg) Chancengleichheit im Bildungswesen