Trotz der Rückkehr des Exilianten General Michel Aoun droht die Unvollendung der Zedernrevolution

 Quo Vadis Libanon?

Die Geschichte scheint einen parabolischen Charakter im Zedernstaat einzunehmen. Dennoch scheint die Frage nicht irrelevant zu sein, ob der Libanon, ehemals in den Medien als die "Schweiz des Nahen Ostens" bezeichnet, aus den letzten 30 Jahren Bürgerkrieg und unter syrischer Besatzung von der Geschichte Lehren gezogen hat, um seine Zukunft selbst in die Hände zu nehmen.

Der kleine Zedernstaat erfährt in den letzten Monaten eine seit dem Bürgerkrieg noch nicht dagewesene politische Spannung. Die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri -vermutlich durch den Auftrag des Damaszeners- wurde als Anlass genommen, um die Jahrzehnte andauernde Unzufriedenheit der Libanesen endlich mal offenkundig zu demonstrieren.

Der von der US-Exekutive tolerierte Einmarsch der syrischen Truppen im Jahre 1976, zugunsten der in Bedrängnis geratenen Christen zu intervenieren, sorgte im Bürgerkrieg zunächst für ein Kräftegleichgewicht. Doch die Cleverness des syrischen Staatschefs Assad senior ließ in der Weltöffentlichkeit die eigentliche Intention, der Destabilisierung sowie der schrittweise Eingliederung des libanesischen Territoriums in Groß-Syrien, unverkennbar. Somit wurde der Libanon zum Spielball der Regionalmächte. Ein vergeblicher Befreiungskrieg General Aouns gegen die syrischen Truppen zwang ihn für die nächsten 15 Jahren ins französische Exil, in denen der multireligiöse und westlich ausgeprägte Staat endgültig ent-demokratisiert und arabisiert wurde.

Doch seit dem 11. September werden die Spielkarten anders gemischt. Die konsequente "unpolitische" Politik der Bush Doktrin sah in den Exil General einen starken Demokraten, der dem kleinen Staat seine alte Souveränität sowie den Glanz zurückgewinnt.

Der Abzug der syrischen Truppen und damit die Umsetzung der UN-Resolution 1559 wurde maßgeblich durch Vorarbeit des maronitischen Patriarchen Nasrallah Boutros Sfeir sowie des Oppositionellen aus dem französischen Exil General Michel Aoun, der als Mitglied des neokonservativen "US-Committee for a Free Lebanon" fungierte,  begünstigt. Die Ermordung des früheren Ex-Premiers wurde lediglich als Vorwand genommen, um sich demonstrativ aufzulehnen.

Doch ausgerechnet in der letzten Phase bleibt die Zedernrevolution unvollendet. Die Rückkehr der antisyrischen Symbolfigur, der die USA sowie westlichen Staaten für die Unterstützung der Opposition gewann, stößt bei Oppositionellen sowie einstigen Bürgerkriegsgegnern wie dem Drusenführer Walid Dschumblatt, eine der zwielichtigsten Figuren des Bürgerkriegs, sowie den anderen moslemischen Religionsgruppen, besonders bei der Frage der Reform des Wahlgesetz, auf Widerstand. Deshalb droht die nach dem Attentat auf Hariri in ungewohnter Einigkeit gesammelte Opposition aus Christen, Drusen und Sunniten zu zerbrechen.

Das Wahlgesetz, welches 1999 unter syrischem Einfluss zustande kam, schreibt 7 große Wahlkreise vor, wodurch sich insbesondere die christliche Minderheit, die das Herz des Libanon darstellt, benachteiligt fühlt. Die 128 Parlamentssitze werden zwar entsprechend dem Taif-Abkommen von 1989 zu gleichen Teilen mit Christen und Muslimen besetzt, aber die Christen fühlen sich von den Stimmen der muslimischen Wähler abhängig. Lediglich ein Viertel ihrer Abgeordneten können die Christen direkt wählen, der Rest kommt über muslimische Listen ins Parlament. Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Oppositionellen bildet der strittige Status der bewaffneten schiitischen Hizbullah, die einzigen Verbündeten der Syrer, welche als Staat im Staat fungiert, und deren Entwaffnung von den Christen strikt gefordert wird.

General Aoun, der den ehemals verfeindeten Milizenführer der berüchtigten "Libanese Forces" Samir Geagea im Gefängnis besuchte, fordert ebenso seine Freilassung, um gemeinsam für die Zukunft des Libanons neue Seite aufzuschlagen. Die in Bedrängnis geratenen Christen, die sich in unterschiedlichen Konfessionen aufteilen, sind wachgerüttelt.

Denn langsam werden unter den Muslimen einige Stimmen laut, die ein einfaches Mehrheitssystem fordern.

Beim gegenwärtigen Ausgangspunkt ist das Festhalten an das Proporzsystem unumgänglich, um eine friedliche Koexistenz beizubehalten.

Eine patentierte Rezeptur "Freiheit und Demokratie" im Sinne des starken Mannes aus Texas sowie Mehrheitsentscheidungen nach dem Vorbild des Westens können nicht überall funktionieren, besonders nicht in Regionen, in denen jahrhundertealte Geschichte ignoriert wird, andernfalls droht derselbe Zustand wie im Nachkriegs-Irak. Und ein weiterer Bürgerkrieg würde das ohnehin schon mit angeschlagenem Image behaftete Land, ehemals „Schweiz des Nahen Ostens“, zum „Sudan des Nahen Ostens“ machen.

Denn der Libanon ist mehr als ein Staat, er ist eine komplexe Idee, ein abstrakter Begriff für einen Modelstaat, indem verschiedene religiöse Gruppen in friedlicher Koexistenz leben können. Ebenso beweist er, dass Vielfalt eine pluralistische Demokratie erzwingt.

Alles was der zerbrechlich-kleine Mittelmeerstaat braucht, ist keine externe Intervention, sondern nur ein frisches Denken, denn an „Propheten“ mangelt es im Zedernstaat nicht. Selbst der „Analphabet“ erfährt in den Schriften des Großen Philosophen Gibran Chalils Anweisungen zur individuellen Freiheit. Und vornehme Generäle, die in solchen Schriften gewandelt sind,  hat er auch, um eine angefangene Zedernrevolution zu vollenden.

     

Der Frieden im Libanon ist nur ein Handgranatenwurf entfernt, doch der zum Chaos ist kaum mehr entfernt.

Evgin Can, Hamburg