Die Anerkennung des Völkermordes ist ein Reifekriterium für die Türkei!
Konferenz zum 90. Jahrestag des Völkermordes
Unter dem Motto "90 Jahre (1915-2005) Sayfo" veranstaltete die European Syriac Union am Jahrestag des Völkermordes an die Christen in Mesopotamien und Kleinasien, am 24. April 2005, eine Konferenz mit internationaler Beteiligung von Historikern, Autoren, Juristen und Politikern.
Der Einladung ins Auditorium der berühmten und andächtigen Brüsseler Basilika folgten rund 270 Interessierte, unter ihnen zahlreiche Vertreter und Repräsentanten von Organisationen und Institutionen aus dem zivilen und politischen Leben. Das Programm wurde von der Konferenzleiterin, Frau Rima Tüzün, mit einem sehr emotionsvollen Gedicht eröffnet. Im Anschluss darauf hielt der örtliche Geistliche der Syrisch Orthodoxen Kirche in Brüssel und Seeelenbetreuer der Mor Zozoyel Gemeinde, Dekan Khori Abdulmesih Günel, eine kurze Ansprache über die Bedeutung des Sayfo und die Märtyrer. Er bedankte sich bei den Organisatoren und Teilnehmern und sprach abschließend ein Gebet für die Seelen der Märtyrer der Suryoye sprach.
Die Referenten der Konferenz waren:
Prof. Dr. Hermann Teule, Direktor des Instituts für Östliches Christentum an der Universität Radboud in den Niederlanden.
Sebastien de Courtois, Geschichtswissenschaftler, Autor und Orientalist
Prof. Paul de Waart, Professor (emeritiert) für Internationales Recht in den Niederlanden
Hr. Ayad Mossad, Politiker aus den Niederlanden
Frau Neriman Kücükaslan, Direktoriumsmitglied der European Syriac Union (ESU)
Teule: "Die Emigration der Suryoye aus der Heimat ist nicht definitiv!"
Prof. Dr. Hermann Teule führte im Rahmen des Vortrags "Die Geschichte des Sayfo" in das Thema ein. Er wies dabei auf die Motive und Hintergründe hin und unterstrich die Bedeutung der Proklamation des Jihad "Heiliger Krieg", durch die Einreichung der "Fatwa" durch den Sultan am 07. November 1914. Historisch untermauerte Teule seine These mit den zeitgenössischen Berichten und Dokumentationen des chaldäischen Priesters Nayem und des syrisch Orthodoxen Dekans Sleyman Hinno in "Gunhe d`Suryoye".
Anschließend tat sich die Frage auf, wie der Sayfo im Hinblick auf die Völkermord Konvention aufzufassen sei: "Die Absicht der ganzen oder teilweisen Zerstörung einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe wie auch die Verursachung von schwerem Schaden an Kultur und Sprache (durch Massaker) ist vorsätzlich und nicht von der Hand zu weisen. Zu diesem Schluss ist auch das bekannte Zentrum für vergleichende Genozidstudien in Sydney, nicht zuletzt aufgrund der offiziellen diplomatischen Stellungnahmen und vorhandenen Archive gelangt," so Teule.
Prof. Dr. Hermann Teule äußerte sich vor diesem Hintergrund auch zu aktuellen Entwicklungen im Turabdin: "Wir haben gedacht, dass die Emigration der Suryoye aus ihren Heimatländern definitiv sei, was sich heute jedoch als falsch erwiesen hat. Parallel zu den Rückkehrprojekten in den Turabdin, zeigen die Universitäten und wissenschaftlichen Bereiche ein reges Interesse an der Erforschung der Kultur und Geschichte der Suryoye. Jedoch, muss sich die Politik in Bewegung setzen, denn die Anerkennung des Völkermordes ist eine Voraussetzung, damit diese Entwicklungen reifen können".
De Courtois: "Im Juli 1915 ist mit der Ermordung von Frauen und Kindern begonnen worden"
Sebastien de Courtois, ein französischer Historiker, Orientalist und, stützte sich in seinem Vortrag "Offizielle Dokumente und Informationen über den Sayfo" auf die zahlreichen Beweise und übereinstimmenden Analysen in verschiedenen Dokumenten und Berichten, die die Ereignisse zwischen 1914 und 1918 betreffen. Dabei unterschied der Historiker zwischen westlichen Quellen (England und Frankreich) und orientalischen Quellen. Zu den wichtigsten orientalischen Quellen zählt Autor zweier Bücher über die Suryoye die schriftlichen und aufschlussreichen Überlieferungen des Syrisch katholischen Priesters von Midyat, Ishak Armalto.
Des weiteren fügte er hinzu, dass in diplomatischen Korrespondenzen ausdrücklich festgehalten sei, dass die Ausrottung ohne Ausnahme alle Christen betraf: "Seit 1895 kam es fast jeden Monat zu größeren Morden an Christen. Zwischen Armenier und Suryoye wurde kein Unterschied gemacht und das belegen auch Berichte, die zeigen, dass die Osmanische Regierung im vollen Bewusstsein der Völker war und für diesen Plan auch ein breites Kommunikationsnetz vorhanden war." .
Der französische Orientalist sagte, dass der Beginn des Völkermordes an die Suryoye im Gegensatz zu den Armenier (24. April 1915 - Beginn der Exekution von armenischen Intellektuellen in Konstantinopel) auf einen Tag im Juni datiere: "Ich vermute den 21.06.1915, denn es ist der Tag, als Midyat angegriffen wurde"
Prof. Paul de Waart: "Diese Konferenz ist ein Schritt hin zur Prävention von Genoziden!"
Der Professor für Internationales Recht erlaubte im Zuge seines Vortrags "Definition des Genozids" einen weiten Einblick in die juristischen Aspekte der Angelegenheit. Der emeritierte Professor für internationales Recht gab zu verstehen, dass der Genozid erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Konvention von 1948 definiert und unter Bestrafung und Ahnung gestellt wurde, daher ein Bezug zu 1915 kaum möglich ist. Er bekräftigte jedoch, dass man, egal ob das Schicksal der Christen nun Genozid, Völkermord oder Massentötung genannt wird, die ganze Dimension der Tragik erfassen könne: "Die Frage ist ethischer und politischer Natur. Denn was zählt ist, dass die Christen Opfer von Massakern waren. Und das muss von jedem Menschen verachtet und verurteilt werden. Analog zur ersten Präambel der UNECO Konstitution will ich abschließend sagen, dass Genozide in den Herzen und Gedanken der der Menschen entstehen. Es ist also dort, wo wir die Grundlagen des Friedens und der Prävention von Genoziden legen müssen".
Mossad: Die Suryoye machen gute Fortschritte!
Der Niederländische Politiker Ayad Mossad beschränkte sich in seinem Beitrag "Firman-der politische Beschluss des Sultans und die Folgen" auf die aktuellen Entwicklungen in der Türkei und die Lage der Suryoye mit Retrospektive des Völkermords als politische Entscheidung des Osmanischen Reiches. Mossad äußerte sich positiv über die aktuellen Fortschritte in der Türkei und verwies dabei auf das Ha Nison Neujahrsfest der Suryoye im Turabdin: "Die Veränderungen der Türkei im Hinblick auf Einstellung zu den Minderheitsfragen und Menschenrechtsproblematiken geben uns Hoffnung, dass sich die Türkei mit der eigenen Geschichte in einem guten und gesunden Weg auseinandersetzt."
Mossad sprach über die politischen und organisatorischen Entwicklungen innerhalb der Suryoye: "Die letzte Initiative ist die Gründung der European Syriac Union (ESU) im letzten Jahr. Das hat uns deutlich gezeigt, wie eifrig sie die internationale und europäische Politik verstehen können. Alle diese Entwicklungen zeigen eines, nämlich dass sich die Suryoye trotz einiger Schwierigkeiten und dem Schmerz der Vergangenheit vorwärts bewegen. Das gleiche gilt für die Türkei, die sehr hart versucht, trotz der schwer lastenden vergangenen Geschichte nach Vorne zu kommen. Die Suryoye leben für die hoffnungsvolle Zukunft zusammen an der Seite der Türkei Und so hoffen wir, dass beide Seiten mit und nebeneinander in Frieden und Harmonie leben können."
Kücükaslan: "Den Völkermord in Seele und Psychologie zu überwinden ist nicht leicht!"
Last but not least war die Reihe an die ESU Repräsentantin Neriman Kücükaslan gekommen. Sie behandelte in ihren Vortrag "Sayfo: Der unbekannte Völkermord an die Suryoye" die Folgen des Genozids und die Gedenkaktivitäten der letzten Jahre: "Der Völkermord und die zahllosen Massaker, die das Suryoyo Volk in den letzten zwei Jahrhunderten über sich hat ergehen lassen, haben riesige Auswirkungen auf die Entwicklung der Identität und des nationalen Bewusstseins gehabt.
Im Kontext ging die ESU Repräsentantin auf die Dokumentation von Zeitzeigenberichten, die Veranstaltung von Demonstrationen, Meetings und Hungerstreiks sowie die Organisierung von Konferenzen und Seminaren ein: "Heute können wir sagen, das der Sayfo innerhalb unseres Volkes und auch international auf der Agenda steht. Sogar in dieser Stunde finden Gedenkfeiern in Europa, im Nahen Osten, in Nordamerika und Australien statt, um Gerechtigkeit und die demokratischen Rechte für Suryoye zu fordern."
Schlussfolgerung: Die Türkei ist der Verhandlungspartner der Suryoye
Im Anschluss an die Vorträge fand eine Diskussionsrunde statt. Dabei kam man zum Schluss, dass selbst wenn inhaltlich nach wie vor gegensätzliche Positionen bestehen sollten und keine Anzeichen der Bereitschaft der Türkei transparent zu erkennen sind, die Suryoye als gleichberechtigten Partner zu akzeptieren, müssen die Suryoye versuchen nach Vorne zu schauen. Damit man aus der Opferrolle herauskommen und eine aktive und protagonistische Rolle in der Gesellschaft einnehmen könne, hier als kritisch-aufgeschlossenen Verhandlungspartner mit der Türkei und der EU, dürfe man nicht in der Vergangenheit verbleiben.
"Vor dem Hintergrund der EU Beitrittsbestrebungen ist es für die Suryoye wichtig, aus der Komplex- und Opferrolle herauszukommen, um zu einem wichtigen und kompetenten Gesprächs- und Verhandlungspartner zu werden. Sie sind es, die ihr Anliegen vertreten und weiterbringen müssen. Andere können ihnen dabei behilflich sein, aber der Impuls ist von ihnen zu erwarten. Sie dürfen niemals vergessen, dass ihr Verhandlungspartner in jeder Sache die Türkei ist und niemand anders", so Mossad mit Nachdruck.
Offen blieb die Frage - auch bei den Referenten-, wie und wann die Türkei eine vollständige Aufklärung des Genozids oder eine komplette Untersuchung suchen wird. Jedoch stimmten alle darin überein, dass diese Zeit nicht mehr fern ist!
Gabriel Fikri Aziz,
gabrielyusuf@hotmail.com